RENDEZVOUS: Probelesen!

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Da sich mein im März 2020 erschienener Fantasyroman „RENDEZVOUS“ so gut verkauft, veröffentliche ich heute eine kostenlose Leseprobe, um noch mehr Lesern Appetit auf das Buch zu machen, das neben Thalia, Weltbild und Amazon jetzt auch bei buecher.de und Hugendubel erhältlich ist. Meine Frau Monika Reischl hat erneut die Einleitung illustriert. Erschienen ist das Buch bei BoD Hamburg! #thankyou – Danke Euch allen für die zahlreichen Buchkäufe!!

Gegenwart

Hong Kong, China

Louis Kim saß in der Mitte des großen Hofes und führte seine allmorgendliche Meditation durch. Die Augen waren geschlossen, die Beine gekreuzt, sein Rücken gerade, ohne steif zu wirken. Seine Hände ruhten auf den Knien, die Handflächen nach oben gewandt. Sein Atem war langsam und ruhig. Jemand, der ihn zufällig sah, hätte annehmen können, dass er eingeschlafen sei. Doch das war nicht der Fall. Im Gegenteil, in jenem Moment war er sich vieler Dinge bewusst, die ein anderer nicht einmal wahrgenommen hätte.

Es war noch sehr früh am Morgen, gerade eben ging die Sonne auf, und ließ den Hof aufleuchten, als wäre er ein Feld aus Gold. In ein paar Stunden würde der Hof befüllt sein von Schülern, die begierig schienen, die Kampfkunst der Shaolin zu lernen. Für das Training teilten sie sich in Zweiergruppen auf, und während einer von ihnen sich nur auf den Angriff konzentrierte, hatte der zweite nichts anderes zu tun als sich auf effektiver Weise zu verteidigen. Alle dreißig Minuten wechselten die Rollen, um auch dem Defensiven die Chance auf Angriff zu geben. Jemand, der untrainiert war, würde mit Sicherheit nach kürzester Zeit in Folge der Erschöpfung zusammenbrechen. Um dem vorzubeugen, erhielten die Schüler speziellen Unterricht zur richtigen Atemtechnik; außerdem lernten sie ihre innere Energie, ihren Chi, zu konzentrieren.

Wahres Können brauchte keine Anstrengung.

All diese Lektionen hat Louis Kim vor langer Zeit gelernt. Nun war er selbst ein Lehrmeister. Er überprüfte jeden Tag, ob seine Schüler die Anweisungen richtig umgesetzt haben. Er würde ihnen beibringen, bei einem Angriff, den sie ausführten, einen lauten Schrei von sich zu geben, um die innere Energie im konstanten Fluss zu halten. Später, wenn die Schüler ihre Fähigkeiten ausgebaut hatten und ihre Kräfte richtig einzusetzen wussten, mussten sie nicht mehr schreien.

Das war genau der Grund, weshalb Louis Kim seine eigene Meditation stets um diese Zeit des Tages durchführte. Es war die einzige Zeit, in der absolute Ruhe herrschte, die perfekte Muse, um Frieden im Geist zu finden. Dies war die Zeit, in der Louis Kim all seine persönlichen Sorgen und Sehnsüchte, die stets den Weg in das Herz eines jeden Einzelnen fanden, hinter sich lassen konnte

Als Champion der vergangenen Kampfturniere, hatte Louis Kim nicht nur ewige Jugend erhalten, sondern wurde auch vor die Wahl gestellt: Entweder auf die Erde zurückzukehren, um mehr Kämpfer für die kommenden Wettbewerbe zu trainieren oder Prinzessin Laura in ihr Heimatreich Marciola zu folgen, um ihr beim Wiederaufbau und Beseitigung der Schäden, die durch den Eroberungsfeldzug Namors entstanden waren, zu helfen. Louis Kim hatte seine Wahl getroffen.

„Zuhause ist, wohin das Herz gehört“, behauptete einst ein alter Freund.

Louis Kims Herz schlug für die Erde. Er hat seine Entscheidung niemals bereut, doch manchmal stellte er sich vor, wie sein Leben wohl im Palast von Marciola verlaufen wäre, an der Seite einer Frau, der er sich noch immer verbunden fühlte.

Das plötzliche Geräusch von flatternden Flügeln durchbrach die Stille, ein Schwarm von Sperlingen, der in einem großen Baum gesessen hatte, war aufgeflogen. Louis Kim öffnet seine Augen und blickte ihnen nach.

Als er sich umwandte, sah er, dass ein Mann am Eingang des Tempels erschienen war. Er war im gleichen Alter wie Louis Kim. Er trug ein dunkelblaues, ärmelloses Hemd und eine schwarze Hose. Auf seinem Kopf trug er einen Hut mit einer breiten Krempe, die ihn vor der starken Sonne schützte

Louis Kim stand auf und lief dem Mann entgegen. Er hatte seinen Freund und Mitstreiter in den Turnieren fast seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.

„Miguel!“, flüsterte Louis Kim.

„Es ist zu lange her.“

„Da hast du wohl recht“, entgegnete Miguel.

„Wie schnell die Zeit vergeht.“

Als Louis Kim ungefähr drei Armlängen von seinem Freund entfernt war, wurde er plötzlich von einem seltsamen Gefühl übermannt. Er spürte eine wundersame Aura von Miguel ausgehen, etwas, das darauf hindeutete, dass sein Herz von einer bösen Macht besessen war. Er hielt auf der Stelle an.

„Was ist los, mein Freund?“, erkundigte sich Miguel.

„Ich bin nicht dein Freund“, erwiderte Louis Kim mit fester Stimme.

„Und du bist nicht Miguel!“

Der Mann, den Louis Kim zunächst für ihn gehalten hatte, sagte kein Wort. Stattdessen ließ er ein höllisches Grinsen aufblitzen. Sofort darauf begann sich alles an ihm zu verändern. Die Gesichtszüge wurden strenger, sein Haar wurde länger, ein verzwirbelter Ziegenbart wuchs an dessen Kinn; und sogar seine Kleider begannen sich zu verändern, sein Hut war verschwunden, er trug nun ein feuerrotes Gewand, das in vergangenen Zeiten von den Feudalherren getragen wurde. Als die Verwandlung vollendet war, war es nicht mehr Miguel, der vor ihm stand, sondern Master Hugo, der bösartigste menschliche Magier, den die Erde je zu Gesicht bekommen hat.

„Du enttäuschst mich, Champion“, stellte Master Hugo in einem sarkastischen Tonfall fest.

„Deine Fähigkeiten scheinen nachgelassen zu haben. Ich hätte mich ohne Mühe anschleichen und dich töten können.“

Louis Kim fluchte leise, denn Master Hugo hatte Recht. Er hätte die Präsenz des Magiers früher spüren müssen. Doch was ihm wirklich Sorgen machte, war die Tatsache, dass er es gewagt hatte, diesen geheiligten Ort zu betreten. Das war nicht irgendein Gebäude, die Stätte wurde vom Rat der Hohepriester geführt, die direkt den ältesten Göttern unterstanden. Ein Akt wie der von Master Hugo würde mit Sicherheit als Sakrileg aufgefasst werden, und der Hexer hätte mit schwerwiegenden Konsequenzen zu rechnen. Dennoch konnte Louis Kim nichts als Zuversicht in Master Hugos Augen erkennen. Hatte er etwas übersehen? Unterschätzte er den Magier vielleicht?

„Wie kannst du es wagen, hierher zu kommen?“, fragte Louis Kim.

„Dir ist der Zutritt verboten worden!“

„Verbote kümmern mich einen Dreck!“, erwiderte Master Hugo.

„Wie auch immer, du solltest aber wissen, dass ich ein fairer Spieler bin. Also gebe ich dir noch einmal die Chance, dein Leben und den Namen des Tempels zu verteidigen. Ich fordere dich zu einem Kampf heraus!“ Nachdem er dies gesagt hatte, nahm er Kampfstellung an. Er stellte sich auf ein Bein, während er das andere Bein anhob. Die Hände hob er hoch über seinen Kopf, die Finger dabei leicht gekrümmt.

„Du hast also tatsächlich die Unverfrorenheit, den Kranich-Stil zu verwenden?“, hakte Louis Kim nach.

„Nun gut, deine Beleidigungen werden bestraft werden!“

Master Hugo grinste immer noch.

„Wer weiß?“, lächelte er.

„Vielleicht bist du es ja diesmal, der bestraft wird. Möge der Kampf beginnen!“

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